Ich habe so viele Wunder gesehen: Ein biografisches Gespräch mit Diakonisse Ruth Matyschok
Ruth Matyschok ist eine der letzten Diakonissen von Halle (Saale). Sie kam 1953 zum Diakoniewerk Halle. Viele Jahre arbeitete sie als Gemeindeschwester in Torgau, war in Pflegeheimen in Halle und Heiligenstadt tätig. Leitete das Erholungsheim in Wernigerode und kehrte schließlich im Ruhestand ans Diakoniekrankenhaus nach Halle als Seelsorgerin zurück.
Geboren wurde Ruth Matyschok 1937 in Breslau. In einem biografischen Gespräch mit Helen Hahmann vom FamilienInterview erzählt Schwester Ruth im Oktober 2024 aus ihrem bewegten Leben: Von der Flucht aus Breslau während des 2. Weltkriegs, von ihrer Zeit als Diakonissenschülerin und Probeschwester, der Ausbildung zur Pflegeschwester und der Einsegnung als Diakonisse im Jahr 1965. Sie spricht über berufliche und private Herausforderungen sowie unvergessliche Momente wie dem Mauerfall, den sie im Harz miterlebte.
Das Gespräch wurde vom Diakoniewerk Halle auch als Film veröffentlicht. An dieser Stelle lesen Sie einige Auszüge aus dem Gespräch mit Schwester Ruth. Den Podcast können Sie hier auf der Website oder auf Spotify hören.
Wie sind Sie auf die Diakonissen aufmerksam geworden?
Ich lebte als junges Mädchen einige Jahre in Dingelstädt im Eichsfeld und dort gab es eine Gemeindeschwester, die aus Halle kam. Ich war 16 Jahre alt, als ich das erste Mal nach Halle gekommen bin. Zunächst mal zu einer Rüstzeit, um Halle und dieses Haus kennenzulernen. Ich hatte mich dann sofort angemeldet und wollte bleiben. Da sagte die damalige Oberin, Olga Fienbork, „Wollen wir erst mal warten, wie es ist? Werde erst mal Angestellte.“ Ich arbeitete also ein Jahr als Hausangestellte und wurde dann Diakonissenschülerin. Da kriegt man so eine kleine eckige Haube und eine große Schleife. Und ich war glücklich. Glücklich war ich, endlich auch einmal ein Kleid für mich, was neu war.
Wie wird man Diakonisse?
Diakonissenschülerin war ich ein Jahr lang. Das war wie eine Vorschule. Probeschwester, das ist dann eine Zeit, in der man sich selber prüfen kann, „Liegt dir das? Kannst du das?“ Auch die anderen konnten abschätzen, „Eignet sie sich dazu?“ Viele sind auch wieder ausgetreten. Als ich kam, waren es mindestens 30 junge Schwestern. Außer allen anderen Diakonissen. Die Höchstzahl waren etwa 400 Diakonissen, die wir waren. Für mich war es eine wunderbare Zeit, an die ich gerne zurück denke. Ich bin dann Novizin geworden. Das ist eine verlängerte Probezeit, in der man dann aber schon richtig mit dabei ist. Das ist acht bis zehn Jahre lang. Da kann man sich dann noch einmal überlegen, „Möchtest du, möchtest du nicht“.
Ein unvergesslicher Moment im Leben einer Diakonisse ist die Einsegnung, also der Moment in dem man zur Diakonisse geweiht wird. Wie erinnern Sie sich daran?
Kurz vor unserer Einsegnung 1965 hatten wir eine Rüstzeit in Gernrode. Als wir wieder kamen, da war das ganze Haus geschmückt. Große Girlanden draußen am Eingang, die Tische waren gedeckt. Wir durften unsere Angehörigen einladen. Zur Einsegnung selber bekamen wir ein kleines Sträußchen. In einem großen Zug liefen wir vom Mutterhaus durch den Garten hinüber zur Kirche: der Pastor, der Bischof, die Oberin, die sieben Schwestern, die eingesegnet wurden, die Novizinnen und Probeschwestern. Wir liefen am Bretterzaun entlang, der den von den Russen benutzten Teil des Diakoniewerkgeländes von dem Rest des Hauses teilte. Auch die Kirche war wunderbar geschmückt und die Kirche war rammelvoll. Es fand ein Gottesdienst statt, in dem wir jeweils zu zweit vorgeholt wurden. Wir mussten uns hinknien und wurden regelrecht eingesegnet. In diesem Moment erhielten wir auch unser Kreuz. Es gab ein Zusammengehörigkeitsgefühl untereinander … einer hat sich für den anderen mit eingesetzt. Es war wunderschön.
Sie haben in so vielen verschiedenen Bereichen in Ihrem Leben gearbeitet, auch an verschiedenen Orten. So wurden Sie einige Jahre in die Gemeinde in Torgau gerufen. Was waren Ihre Aufgaben als Gemeindeschwester?
Ich war noch keine drei Monate in Erfurt auf der Säuglingsstation, da kam die Probemeisterin und teilte mir mit, dass ich wieder weg sollte. Da habe ich mich erstmal gewehrt. Als ich aber hörte, dass ich nach Torgau in die Gemeinde gehen sollte, da war alle Trauer vorbei. Das war mein ganz großer Wunsch. Ich habe mich in der Gemeinde sehr wohl gefühlt und war auch angenommen. Gemeindearbeit war die Krone der Diakonie von Anfang an. Man musste vielseitig sein. Ich kümmerte mich um Kranke, hatte aber auch einen Kinderkreis, Kindergottesdienst und einen Großmütterkreis.


